Wir brauchen deine Unterstützung, jeder Cookie zählt!

Wir verwenden Cookies, um die Nutzung unserer Webseite zu verbessern, bestimmte Funktionen zu ermöglichen und vor allem, um unsere Arbeit zu finanzieren. Du kannst dem jederzeit in unserer Datenschutzerklärung widersprechen.

Akzeptieren
Essenziell

Diese Technologien sind erforderlich, um die Funktionalität der Webseite zu ermöglichen.

Statistik

Mit diesen Technologien analysieren wir die Nutzung der Webseite, mit dem Ziel, unsere Arbeit zu verbessern.

Marketing

Diese Cookies sind Grundlage für unsere Einnahmen. Wir nutzen Google Adsense, um Anzeigen unserer Werbekunden auf der Webseite einzustellen. Hier erfährst Du, wie personenbezogene Daten zur Personalisierung von Anzeigen verwendet werden.

Komfort/Externe Medien

Diese Technologien werden verwendet, um dir ein besseres Nutzungserlebnis zu ermöglichen.

Gesundheit

Diabetes Typ 1 - ein Erfahrungsbericht

Petra Hoffmann · 04.11.2021

zurück zur Übersicht
Julius und seine Mutter Lucia

Julius und seine Mutter Lucia

Über 30.000 Kinder in Deutschland haben Typ 1 Diabetes und es betrifft immer mehr. Typ 1 Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse angegriffen werden und kein oder kaum mehr Insulin produziert. Man weiß nicht, woran das liegt. Sicher ist, dass diese Erkrankung nichts mit der Lebensführung zu tun hat. Typ 1 Diabetes ist nach Stand der heutigen Forschung nicht heilbar und geht auch nicht wieder weg. Man muss ein Leben lang täglich mehrfach seine Blutzuckerwerte bestimmen und sich Insulin über eine Spritze oder eine Insulinpumpe verabreichen. Insulin gibt es für Diabetes Typ 1 nicht in Tablettenform.

Der 15-jährige Julius hat seit drei Jahren Diabetes Typ 1. KÄNGURU spricht mit seiner Mutter über ihre Erfahrung, ihren Familienalltag und darüber, was sich seit der Diagnose verändert hat. Neben unserem Interview findet ihr bei uns auch weiterführende Infos über Diabetes bei Kindern und Jugendlichen.

Hallo Lucia, erzählst du uns bitte etwas über deine Familiensituation?

Wir sind eine Familie mit drei Kindern. Die älteren beiden sind schon erwachsen, die wohnen nicht mehr bei uns. Julius ist der Jüngste und er hat vor drei Jahren die Diagnose Diabetes Typ 1 bekommen.

Was ist vorher passiert?

Vorweg ging es ihm etwa ein halbes Jahr nicht besonders gut. Er war vorher nie krank, aber plötzlich sagte er ständig: Mama, mir geht‘s nicht gut. Er fühlte sich immer schlapp. Er kam aus der Schule nach Hause und konnte nicht mehr. Die Veränderung passierte im ersten Jahr in der weiterführenden Schule, er war also 12 Jahre alt. Wir sind natürlich zum Arzt gegangen, aber die Diagnose lautete immer Pubertät, Schulwechsel. So richtig ernst genommen wurden die Symptome zunächst nicht. Aber wir waren uns sicher, da stimmt etwas nicht.

Wir sind dann Pfingsten nach Rügen in den Urlaub gefahren, und da kam Julius mit dem Fahrrad keinen Berg mehr hoch. In dieser Zeit hatte er ständig Durst und fing an, sehr viel zu trinken. Er konnte die Nächte gar nicht mehr durchschlafen. Nach dem Urlaub waren wir schon sehr alarmiert. Und irgendwann hatte ich selber plötzlich den Gedanken: Mein Gott, ist das vielleicht Diabetes?

Wie kamst du auf diesen Gedanken? Habt ihr Diabetes in der Familie?

Nein, ich kenne niemanden mit Diabetes. Mir kamen nur die Symptome bekannt vor. Ich hatte kurz vorher Henning Mankels Walander gelesen. Der erkrankt in einem Krimi auch an Diabetes. So bin ich auf den Gedanken gekommen, glaube ich. Am Tag nach dem Urlaub war ich bei meinem Osteopathen und habe mit ihm über die Situation geredet. Er hat mir geraten, sofort zum Arzt zu gehen. Für ihn hörte sich alles nach Diabetes an. Und es stellte sich raus, dass er selber einen Sohn in dem Alter mit Diabetes hat.

Wie ging es dann weiter?

Wir sind dann mit diesem Verdacht wieder zum Kinderarzt gegangen und der hat uns ins Krankenhaus eingewiesen. Wir waren in der Kinderklinik in Leverkusen, da gibt es eine spezielle Kinder-Diabetologie. Und die haben Julius direkt dabehalten. Es gab gar keine große Diskussion, für die war die Situation sofort klar. Julius hatte extrem hohe Blutzuckerwerte und er stand kurz vor einem lebensgefährlichen diabetischen Koma.

Julius – ein ganz normaler Teenager

Wie geht Julius heute mit seiner Krankheit um?

Julius ist jetzt 15, das ist ja ein Alter, in dem Jugendliche sich ablösen, über die Strenge schlagen, sich auflehnen und gegen Regeln verstoßen. Aber Julius ist extrem diszipliniert, das kommt ihm jetzt zugute. Er verliert nie etwas, hält seine Termine ein, plant im Voraus. Diabetes heißt, dass du dich 24 Stunden am Tag kontrollieren musst. Auch wenn du ins Bett gehst, musst du noch deine Zuckerwerte kontrollieren. Zu viel Blutzucker ist schlecht, zu wenig aber auch. Dir geht es dann einfach schlecht. Mal einen Tag aussetzen mit dem ganzen Kram, das geht nicht.

Seit eineinhalb Jahren hat Julius eine Insulinpumpe und ein CGM (Continuous Glucose Monitoring), das ist ein Sensor, der unter der Haut den Gewebezucker misst. Dadurch ist der Alltag ein bisschen leichter geworden. Vorher musste er sich bis zu 15 mal am Tag die Fingerkuppen blutig stechen und seinen Blutzucker bestimmen. Das geht mit dem CGM einfacher. Aber es ändert nichts daran, mit Diabetes musst du rund um die Uhr auf dich achten. Bei allem, was du isst, musst du die Kohlenhydrateinheiten errechnen und das in die Pumpe eingeben, damit die dann bedarfsgerecht das Insulin dosieren kann. Der Bedarf verändert sich aber, je nachdem, wie aktiv du bist. Wenn du Sport machst, musst du deine Einheiten reduzieren und weniger bolen. Mit der Pumpe bolst du Insulin, so nennt man das. Du hast also keine Insulinspritzen, sondern gibst das Insulin mit der Pumpe ab. Die Pumpe klebst du auf Bauch oder Oberschenkel und sie sticht dir einen Teflonschlauch unter die Haut, darüber bekommst du das Insulin. Die Pumpe musst du alle drei Tage neu legen.

Julius sagt inzwischen, dass das sein Diabetes ist, nicht meiner. Er muss damit klarkommen. Er redet ganz offen darüber, aber er lässt es nicht raushängen. Wenn du ihn siehst, dann siehst du einen ganz normalen Jugendlichen.

Und wie geht es euch als Eltern?

Wir haben Julius nach der Diagnose zwei Jahre nicht mehr allein gelassen. Übernachten bei einem Freund, Ferienfreizeiten, Schulfahrten – da geht nichts mehr. Von einem Augenblick auf den anderen. Alle Freiheiten, also die von meinem Mann und mir und auch die, die Julius schon hatte, die sind alle weg.

Als Elternteil hast du immer Angst, dass dein Kind unterzuckert. Unterzucker bedeutet Todesängste. Wir hatten letztes Jahr eine Situation, da haben wir eine leichte Radtour gemacht und am nächsten Tag einen Spaziergang von 13 Kilometern. Nachts ist dann Julius‘ Blutzucker innerhalb einer halben Stunde von 120 auf 30 runtergeknallt. Da lag er im Bett und hatte einfach nur Angst. Das war hart. Ich muss heute immer noch heulen, wenn ich daran denke. Du hast Todesängste um dein Kind. Und dein Kind hat auch Angst ... Er ist dann irgendwann erschöpft eingeschlafen und ich lag voller Adrenalin daneben. Ich konnte vor lauter Angst nicht mehr schlafen. Und diese Gefühle wirken nach.

Stichwort Schule und Diabetes Typ 1: Wie läuft es für Julius in der Schule?

Die Lehrer waren alle total nett und haben versucht, sich auf die Situation einzustellen. Julius durfte zum Beispiel im Unterricht immer essen. Und auch das Insulin konnte er sich in der Klasse spritzen.

Wenn man hört, dass jemand Diabetes Typ 1 hat, denkt man schnell, der muss nur richtig eingestellt werden und dann kann man damit gut Leben. Die leben ganz normal. Was sagst du dazu?

Das nervt, weil es einfach nicht stimmt. Als die Diagnose kam, da habe ich noch am Theater gearbeitet. Das war genau die Reaktion von vielen Kollegen. Aber die sehen nur die Außenseite. Die wissen nicht, wie oft man in Grenzsituationen kommt. Vor allem in der Pubertät ist das mit dem Insulin problematisch. Die Pubertätshormone bringen ständig alles durcheinander, da kann man niemanden einstellen. Es geht viel Lebensqualität verloren. Und normal ist es schon mal gar nicht.

Die Diagnose ist ein absoluter Bruch im Leben. Sie stiehlt deinem Kind die Kindheit, die Leichtigkeit, die Unbeschwertheit. Er muss immer planen. Er muss immer diszipliniert sein.

Bei Julius kam noch eine weitere Erkrankung dazu, die ihm das Leben echt schwer macht. Er hat zusätzlich zum Diabetes noch eine Zöliakie entwickelt. Das ist eine Glutenunverträglichkeit, wegen der er sehr viele Dinge nicht essen kann. Von Gluten bekommt er Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen. Für Julius ist das oft schlimmer als der Diabetes. Er spürt ständig eine Einschränkung.

Habt ihr euch mit anderen Familien vernetzt, in denen ein Kind an Diabetes Typ 1 erkrankt ist?

Wir sind im Verein Zuckerleicht. Das geht vom Klinikum Leverkusen aus. Das ist eine Selbsthilfegruppe, die machen z.B. Sommerfeste und Kreativangebote. In Coronazeiten ist das natürlich auch alles zurückgegangen. Mir als Mutter würde mehr Kontakt zu anderen betroffenen Familien manchmal helfen. Einfach nur mal nachfragen, wie es bei denen läuft, welche Erfahrungen die gerade machen. Julius braucht das nicht. Der will einfach möglichst normal sein Leben leben.

Was tut euch im Alltag und im Miteinander gut?

Nicht immer gleich als erstes fragen: Was macht dein Zucker. Den anderen auch mal in Ruhe lassen. Das Thema ist unterschwellig zwar immer da, aber man muss nicht ständig darüber reden. Julius hat zwei, drei enge Freunde, er fühlt sich in seiner Klasse wohl, er macht gern Sport, fährt gern Rad. Er schraubt seit einiger Zeit selber an Rädern rum, interessiert sich für Flugzeug-Modellbau. Das ist alles wichtig für ihn und auch für uns.

Ich selber habe vor einiger Zeit aufgehört zu arbeiten, weil es mir damit richtig schlecht ging. Jedes Mal wenn das Telefon ging, bin ich zusammengefahren. Die Belastung war einfach zu groß. Allein schon die Frage, wie ich mir das vorstelle mit der Arbeit in Zukunft. Ich könne ja jederzeit ausfallen ... das brauchst du echt nicht in dem ganzen Stress.

Es wird viel geforscht zur Diabetes Typ 1. Das stimmt positiv für die Zukunft. Und natürlich tun uns andere Menschen gut, die mit Diabetes Typ 1 leben und die eine positive Grundhaltung haben. Auch davon haben wir einige in unserem Umfeld und die machen Mut.

Danke für das Gespräch und für deine Offenheit.