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Familienleben

Wie lange soll ich mein Kind stillen?

Golrokh Esmaili · 04.03.2021

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Wie lange soll ich mein Kind stillen? Symbolfoto © Adobe Stock

Wie lange soll ich mein Kind stillen? Symbolfoto © Adobe Stock

Ein Plädoyer für freie Entscheidungen ohne Druck von außen. Von Golrokh Esmaili.

Lisa und Ceylan sind seit 20 Jahren Freundinnen und unzertrennlich. Wenig brachte die beiden Frauen auseinander – bis zu dem Zeitpunkt, als sie Mütter wurden. Dann poppte ein Thema auf, bei dem es schwierig wurde: Stillen. Ceylan stillt ihr 2,5jähriges Kind heute noch. Lisa stillte ihr Kind mit acht Monaten ab. Und das Verständnis auf beiden Seiten für das Handeln der jeweils anderen ist nicht besonders groß.

Kaum ein Thema polarisiert so sehr, wie das Stillen.

Beim Stillen scheiden sich die Geister. Dabei geht es nicht um die Frage, ob gestillt werden soll, sondern vielmehr, wie lange. Die einen sind gegen eine Stilldauer von über einem Jahr, die anderen dafür. Emotional ist es oft und von beiden Seiten. Denn wenn es um die eigenen Kindern geht möchte ja jede:r nur das Beste für den Nachwuchs. Das Problem: Kinderärzte, Wissenschaftler und andere Menschen vom Fach sind sich uneinig … Große Unsicherheit und jede Menge falscher Informationen über eines der eigentlich natürlichsten Dinge der Welt ziehen sich somit seit Jahrzehnten durch unseren weiblichen Kosmos.

Dabei wird seit Menschheitsgedenken gestillt.

Viel wichtiger – ohne das Stillen gäbe es keine Menschen. Naturvölker stillen im Schnitt bis zu drei Jahren und es gibt sogar Völker, bei denen die Kinder bis zum siebten Lebensjahr gestillt werden. Warum also wird in westlichen Ländern eine lange Stilldauer so verpönt? Ein Grund, der immer wieder genannt wird und scheinbar die größte Angst vieler Mütter ist, ist dass spätes Abstillen psychische Konsequenzen für Kinder hat. Sie blieben unselbstständig. Langes Stillen könne die Kinder zu sehr verwöhnen. Eine der am stärksten belastenden Unterstellungen gegenüber langzeitstillenden Müttern ist, dass sie sich auf diese Weise sexuell stimulierten und durch das Stillen quasi eine sexuelle Beziehung zum Kind aufnähmen. Diese Behauptungen haben meiner Ansicht nach mehr mit unseren westlichen Vorstellungen über die Brust einer Frau als erotisches Geschlechtsorgan, als mit den Tatsachen.

Wie stillen die KÄNGURU-Leserinnen?

Auch wir fragen auf unserer Facebook-Seite nach der Meinung unserer Leser:innen zum Thema Stillen – und wie vermutet, bekommen wir die unterschiedlichsten Antworten. Eine Leserin erzählt beispielsweise von dem großen Druck, der auf ihr laste, weil sie es einfach nicht geschafft habe, ihr Kind zu stillen. Eine andere Mutter schreibt uns, dass sie ihr Kind seit über zwei Jahren stille, aber aufgrund blöder Bemerkungen und Fragen nicht mehr in der Öffentlichkeit. Antonia (34) erzählt, dass sie in Gesprächen, in denen sie sich als langzeitstillende Mutter geoutet hätte, richtig angegangen wurde. Und – Überraschung – nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern, die es ekelhaft fanden, dass sie ihren dreijährigen Sohn noch stillt. Liest man sich die Kommentare unter Fotos von stillenden Müttern durch, sieht man ähnliches: Frauen beschimpfen Frauen, sie sollten ihre ‚Titten wieder einpacken‘. Die hätte nichts im Restaurant zu suchen. ‚Sie solle sich schämen‘.

Druck, Vorurteile und Hatespeech von allen Seiten. Aber wer hat denn nun Recht?

Der Berufsverband der amerikanischen Kinderärzte gibt dazu eine Stellungnahme ab: „Es gibt (…) keine Hinweise auf schädliche Effekte auf die Psyche oder die Entwicklung des Kindes, wenn ins dritte Lebensjahr oder länger gestillt wird.“  Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt nach entsprechender Beikosteinführung eine Gesamtstilldauer von bis zu 24 Monaten oder darüber hinaus. Ich frage nach – diese Info scheint den wenigsten bekannt. Laut Nationaler Stillkommission beginnen in Deutschland 90 Prozent der Mütter mit dem Füttern an der Brust, nach zwei Monaten werden noch 70 Prozent der Säuglinge gestillt, nach sechs Monaten sind es nur noch zwischen 40 und 50 Prozent. Und danach gehen die Zahlen dramatisch runter. Sie gibt ebenfalls keine ausdrückliche Empfehlung, wann endgültig abgestillt werden sollte, weil sich hierzu keine wissenschaftlich begründete Basis finden lasse. Der endgültige Zeitpunkt zum Abstillen solle nach Auffassung der Kommission eine individuelle Entscheidung sein, die gemeinsam von Mutter und Kind getroffen wird.

Stillen Mütter Kinder, die über ein Jahr alt sind, spricht man schon von Langzeitstillen.

In Deutschland liegt die durchschnittliche Stilldauer bei 7,5 Monaten, in angelsächsischen Ländern (Großbritannien, USA, Australien) wird noch deutlich kürzer gestillt. Erst im 19. Jahrhundert empfehlen populäre englische Puplikationen zur Kinderpflege bereits nach einem Jahr abzustillen, lese ich auf der Webseite des Still-Lexikons. Dabei hat das Stillen nur Vorteile. Die Zusammensetzung der Muttermilch ist an die kindlichen Bedürfnisse angepasst. Die Milch liefert dem Baby die für Wachstum und gesunde Entwicklung wichtigen Nährstoffe. Muttermilch ist hygienisch einwandfrei und richtig temperiert. Sie ist praktisch, weil immer verfügbar. Und sie kostet nichts. Untersuchungen ergaben, dass gestillte Kinder im Vergleich zu nichtgestillten ein verringertes Risiko für Durchfall, Mittelohrentzündung und späteres Übergewicht haben. Stillende Frauen haben gegenüber nichtstillenden  gesundheitliche Vorteile wie raschere Gebärmutterrückbildung nach der Geburt oder Risikominderung für Brust- und Eierstockkrebs. Und total faszinierend: ist das Kind krank, passt sich die Milch an und fördert einen schnelleren Heilungsprozess. Und last but not least: Stillen fördert die Bindung zum Kind. Denn durch das Stillen werden Glückshormone ausgeschüttet, die helfen, bedingungslos auf das Kind einzugehen und mit der eigenen Müdigkeit umzugehen.

Neben gesundheitlichen Gründen wie Brustentzündungen oder Milchmangel gibt es jedoch auch verschiedene Faktoren, die das langfristige Stillen für Mütter erschweren. Der Druck, nach der Geburt schnell wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen gehört sicher dazu, oder auch einfach der während der Stillzeit empfohlene Verzicht auf bestimmte Lebensmittel oder Suchtmittel wie Alkohol und Zigaretten.

Und Frauen die lange stillen? Wie entscheiden sie das?

Ich frage Eva, die ihren Sohn fast fünf Jahre gestillt hat. Sie erzählt mir, dass sie eigentlich auch nur ein Jahr stillen wollte. Die Entscheidung, länger zu stillen, entstand aus der Stillbeziehung zu ihrem Kind. Sie hat nach ihrem Bauchgefühl entschieden, weil sie einfach gesehen hat, wie sehr ihr Sohn das Stillen genossen hat. Und sie ist davon überzeugt, dass ihr Kind nicht nur körperlich vom Stillen profitiert hat, sondern auch in seiner psychischen Entwicklung. Objektive Untersuchungen darüber, ob sich lange gestillte Kinder tatsächlich von anderen Kindern unterscheiden, existieren keine. Somit können solche Annahmen weder belegt noch widerlegt werden.

Aber das ist ja auch erst einmal egal. Denn möchte eine Frau ihr Kind länger als im Moment üblich stillen, sollte ihr dieses Recht zugestanden werden. Das lange Stillen muss eine gesellschaftliche Akzeptanz finden – und zum Glück bewegt sich hier auch etwas, sogar auf politischer Ebene: Zwei Jahre lang hat sich eine Expertenkommission mit Fragen rund ums Stillen befasst. Die Frage war vor allem: Wie kann Deutschland stillfreundlich werden – überall, jederzeit und für jede Frau, die stillen möchte? Mit der Initiative „Becoming Breastfeeding Friendly“ wurden 2019 Handlungsaufforderungen entwickelt und an die Politik gestellt, die nun umgesetzt werden sollen, damit Frauen und ihr soziales Umfeld auf allen Ebenen der Gesellschaft stillfreundliche Bedingungen vorfinden. Das Forschungsvorhaben wird seit 2017 auf Initiative des Bundesernährungsministeriums vom Netzwerk Gesund ins Leben und der Nationalen Stillkommission gemeinsam mit der Universität Yale durchgeführt. Ein guter Anfang. Erfreulicherweise gibt es auch immer mehr Kinderärzt:innen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und Frauen ermutigen, auf ihr Bauchgefühl zu hören. Dazu gehören der spanische Kinderarzt Carlos Gonzales und der Kinderarzt und Autor Herbert Renz Polster. Sie brechen eine Lanze für das Stillen über ein Jahr hinaus.

Richtig, wichtig und gut, dass nun Lanzen gebrochen werden.

Für die Freiheit der Mütter, die ihre Kinder ohne zeitlichen Druck stillen möchten. Gut, dass es Expertenkommissionen und Co gibt. Aber auch traurig, dass es sie im 21.Jahrhundert geben muss. Hoffen wir, dass wir irgendwann an eine Punkt kommen, an dem jede Frau stillen oder nicht stillen kann, wie sie und ihr Kind es möchten. Ohne gesellschaftlichen Druck und ohne Vorurteile. Und hoffen wir, dass wir Frauen uns dabei gegenseitig bestärken und unterstützen. Jede Entscheidung ist gut und richtig. Wenn alle Beteiligten damit glücklich sind.

 

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