Teenager
Christian Luhr: Arbeit hinter Gittern
Hanka Meves-Fricke · 05.03.2018
zurück zur ÜbersichtChristian Luhr arbeitet als Beamter im Vollzugsdienst der JVA Köln-Ossendorf. © Sonja Hoffmann
Wir schließen unsere persönlichen Wertsachen im Eingangsbereich der Justizvollzugsanstalt in ein Fach ein und schalten unsere Handys aus. Fotoausrüstung, Aufnahmegerät, Block und Stift dürfen mit in das Gefängnis. Hinter uns schließt sich die Tür – für uns für zwei Stunden, für die Inhaftierten für Wochen, Monate, Jahre. Lange Gänge, abschließbare Türen auf beiden Seiten, kleine Fenster, ein Raum mit zwei Computern, Aktenablagen. „Bei mir läuft das Wasser in der Toilette“, meldet sich ein Inhaftierter über die Wechselsprechanlage. Der Kollege von Christian Luhr nimmt den Schlüssel. Er stellt das Wasser in der Zelle ab und ruft einen Monteur. Wir gehen in die Küche, führen unser Gespräch weiter und schauen uns im Raum um. In den nächsten zehn Jahren wird Köln eine neue Haftanstalt auf dem gleichen Gelände bauen. Die Justizvollzugsanstalt ist schon fünfzig Jahre alt und ihre Gebäude entsprechen schon lange nicht mehr modernen Standards. Dennoch sind bis zu 1.126 Gefangene hier untergebracht. Die meisten sind Männer. Rund fünfhundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen gemeinsam mit Ehrenamtlern die Inhaftierten.
Gefühl für wichtige Anliegen
Christian Luhr arbeitet seit vier Jahren in der JVA in Ossendorf. Nach 13 Jahren bei der Bundeswehr wollte er in den öffentlichen Dienst und hat sich über Möglichkeiten einer Ausbildung informiert. „Ich wollte etwas mit Menschen zu tun haben“, berichtet er. „Abwechslung in der Arbeit haben, zugleich eine sichere Arbeitsstelle.“ Von Anfang an arbeitet er in der Untersuchungshaft. „Viele sind zum ersten Mal hier, wissen nicht, was sie erwartet, wie lange sie hierbleiben müssen. Manche warten ein Jahr auf ihr Gerichtsverfahren“, so Luhr. Neben den täglichen Aufgaben wie der Kontrolle der Zellen, dem Verteilen von Mahlzeiten, Wäsche, Waschzeug sowie der Bearbeitung von persönlichen Anliegen der Gefangenen sei es deshalb besonders wichtig, zuhören zu können. Luhr arbeitet in seiner Schicht zumeist mit der gleichen Kollegin zusammen. „Wir sind ein gutes Team“, erklärt er uns. „Wir haben jeden Tag engen Kontakt zu den Gefangenen. Wenn sie uns ein Anliegen vortragen, müssen wir entscheiden, was Vorrang hat. Nicht alle Anträge von Inhaftierten können sofort bearbeitet werden. Doch wenn jemand seine Wohnung verliert und er über einen Anruf eine schnelle Lösung finden kann, dann soll er telefonieren. Oder wenn ein Verfahren ansteht, dann kann ein kurzes Telefonat mit dem Anwalt beruhigen.“ Wenn sich ein Konflikt zuspitzt, können und müssen die Beamten auf Unterstützung von Psychologen, Ärzten, Sozialpädagogen und Seelsorgern zurückgreifen. „Auch hier entscheiden wir, ob es dringend ist.“
365 Tage lang 24/7
Schichtarbeit ist fordernd. Morgenschicht von 6 bis 14 Uhr, nachmittags von 14 bis 22 Uhr und Nachtarbeit, während die Inhaftierten in ihren Zellen eingeschlossen sind. Weihnachten, Silvester und andere Feiertage werden zu Arbeitstagen. „Wir leisten auch Überstunden“, erzählt Luhr und schiebt gleich nach, dass sie auf der ande- ren Seite unter der Woche frei hätten und die Bereichsleiter versuchten, auf Wünsche bei der Schichtplanung einzugehen. 24/7, Dreischichtbetrieb über sieben Tage in der Woche, viele Inhaftierte sind schwierig im Umgang – und dennoch sieht Christian Luhr jünger aus, als er ist. Er lächelt: „Als unser zweites Kind geboren wurde, hat unser Bereichsleiter mir drei Wochen Urlaub gegeben. Ich weiß nicht, ob das in der freien Wirtschaft auch geklappt hätte.“
Zuhören können ist wichtig
Viele Gefangene verbringen alle Tage in ihrer Zelle; manche arbeiten in der Küche oder Kammer oder in Handwerksberufen; viele machen Sport oder holen eine Ausbildung nach. Hofgang gibt es eine Stunde pro Tag. In der Untersuchungshaft haben jedoch die meisten wenig zu tun. „Anfangs bin ich mit meinen Kollegen von Zelle zu Zelle mitgegangen, habe zugehört, wie sie mit den Gefangenen sprachen, wie sie entschieden, welcher Antrag wichtig, welcher zurückgestellt werden kann“, erzählt Luhr über seine zweijährige Ausbildung, in der sich theoretische Phasen mit praktischer Arbeit abwechselten. „Ich habe viel von meinen Kollegen in der Ausbildung gelernt. Zum Beispiel, dass ich mich nicht von Vorurteilen leiten lassen darf, nicht von Äußerem ausgehen sollte, erst zuhören sollte, bevor ich mir ein Urteil bilde.“ Schichtübergaben, Vollzugskonferenz und Gespräche mit den anderen Beamten geben Gelegenheit, Entscheidungen zu besprechen und zu reflektieren. „Im ersten Jahr klappt nicht alles“, schließt Christian Luhr. „Man macht Fehler. Das gehört dazu. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns über unsere Entscheidungen austauschen. Und es ist wichtig, dass wir unsere Erfahrungen an die Auszubildenden weitergeben. Das mache ich gern.“
Wenig später verabschieden wir uns, nehmen unsere persönlichen Gegenstände aus dem Schließfach. Hinter uns schließt sich das Tor. Wir sind an der frischen Luft, atmen tief ein. Christian Luhr bleibt noch einige Stunden hinter Gittern. Vielleicht kommen wir in ein paar Jahren wieder und sprechen noch einmal mit ihm? Könnte sein, dass er dann die Ausbildung von Beamten leitet. Er jedenfalls würde sich das wünschen.
Ausbildung zum Beamten in der Justizvollzugsanstalt
Voraussetzungen für die Ausbildung:
• 20 bis 38 Jahre alt
• Realschulabschluss oder Hauptschulbildung plus abgeschlossene Berufsausbildung
• Sportlichkeit
• Keine Vorstrafen
• Gesetzliche Voraussetzungen für die Ernennung zur Beamtin oder zum Beamten
Ausbildung:
• Duales System mit 9 Monaten theoretischer plus 15 Monaten praktischer Ausbildung in den verschiedenen Vollzugsformen und -arten
• Inhalte:
1. Recht und Rechtsgrundlagen
2. Vollzugsaufgaben
3. Delinquenzentwicklung, Behandlung sowie Erziehung und Förderung
4. Kommunikation und Konfliktmanagement
5. Gesundheitsförderung
Vergütung:
Der allgemeine Vollzugsdienst gehört zur Laufbahngruppe 1, 2. Einstiegsamt (ehemals mittlerer Dienst). Bereits die Ausbildungszeit wird vergütet (Stand Juli 2017: ca. 1.750 Euro brutto).