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Familienleben

Krankhaft ist, wenn die Person selbst und/oder ihr Umfeld leidet

Golrokh Esmaili · 03.06.2021

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© Koonsiri/Adobe Stock

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Neurowissenschaftler und Psychiater Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer erklärt die Mechanismen von digitaler Sucht.

KÄNGURU: Wo hört gesunde Mediennutzung auf und ab wann würden sie von einer Mediensucht sprechen?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Die Mediensucht ist eine substanzungebundene Form der Sucht wie beispielsweise auch die Glücksspielsucht. Beides ist mittlerweile offiziell als Krankheit im internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten (ICD) anerkannt. Für jede Sucht gilt, dass das Verhalten dann als krankhaft zu bewerten ist, wenn die Person selbst und/oder ihr Umfeld darunter leidet.

Welche Medien sind gemeint? Worin bestehen die besonderen Gefahren?

Man spricht beispielsweise von Internetsucht, Computerspielsucht, Facebook-Sucht oder Smartphone-Sucht. Hierzu liegen auch jeweils Skalen zur Erfassung und eine ganze Reihe von Forschungsergebnissen vor. Interessant ist, dass sowohl Hardware als auch Software suchterzeugend wirken kann: Computerspiele sind so programmiert, dass Belohnungen ein Zufallselement enthalten, wodurch sich – das wurde in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts schon wissenschaftlich nachgewiesen – Suchtverhalten besonders gut und vor allem nachhaltig erzeugen lässt. Das Smartphone hat diese Art der Belohnung durch die Tatsache, dass es immer mitgeführt wird und eine ganze Reihe sozialer Verbindungs-Anwendungen auf ihm laufen. So wird der Nutzer immer wieder zu ihm greifen, um die Zahl seiner sozialen Kontakte zu maximieren – selbst dann, wenn dieses Verhalten zu Frustration, Unzufriedenheit und Depression führt, was mehrfach nachgewiesen wurde.

Was macht der Medienkonsum mit unseren Kindern. Psychisch als auch physisch?

Weil den Medien („Medium“, wörtlich: „das Vermittelnde") die Unmittelbarkeit fehlt, ist die heute übliche Quantität der Mediennutzung (je nach Studie vier bis sechs Stunden täglich – diese Daten beziehen sich auf die Zeit vor Corona) für die meisten Nutzer langfristig emotional belastend. Hinzu kommt, wie eine große Studie deutscher Kinderärzte ergeben hat, dass bei Kindern je nach Alter Störungen der Sprachentwicklung, der Aufmerksamkeitsentwicklung und der Entwicklung von Selbstkontrolle auftreten können, das heißt Störungen der Gehirnentwicklung – zusätzlich zu den oben bereits genannten Gefahren der Suchtentwicklung. In körperlicher Hinsicht kommt es vor allem zu Bewegungsmangel mit dadurch bedingtem Übergewicht. Haltungsschäden sowie grob- und feinmotorische Defizite sind häufig (25 Prozent der Kinder können bei Einschulung nicht mehr Hüpfen; viele können in der Grundschule keinen Stift halten). Weniger bekannt, aber mindestens ebenso bedeutsam, sind Kurzsichtigkeit und Schlafstörungen als sehr häufige und ernst zu nehmende unerwünschte Effekte.

Gibt es positive Aspekte der neuen Medien?

In Anbetracht der gravierenden negativen Effekte halte ich sie, wenn es sie denn geben sollte, für unwesentlich.

Corona verstärkt das Nutzen der neuen Medien (Homeschooling/zukünftige Digitalisierung des Unterrichts). Ist das nicht die Zukunft unserer Kinder?

Corona zeigt die Schwächen im System, nicht nur bei Schlachthöfen. Als während des Lockdowns der Unterricht digital erfolgen musste, wurde allen klar, dass der Computer ein schlechterer Lehrer ist als ein Lehrer. Schüler wollen, dass die Schulen wieder öffnen, und mittlerweile besteht ein Lernrückstand von etwa einem Schuljahr. In den Niederlanden, wo die Schulen schon digitalisiert und die Schüler schon flächendeckend mit Endgeräten ausgestattet und alle schon mehrere Jahre Erfahrung damit hatten, wurde ebenfalls nahezu nichts gelernt, was zeigt, dass dies nicht am „deutschen Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung“ liegt (wie oft behauptet wird), sondern an der Tatsache, dass digitale Medien dem Lernen eher abträglich sind.

Was sind die Alternativen?

In den vergangen zwanzig Jahren hat die Forschung sehr klar gezeigt, dass Menschen im Verlauf der jüngsten Evolution (ca. 100.000 Jahre) ganz besonders die Fähigkeit zur Weitergabe von Kultur entwickelt haben. Schon kleine Kinder wählen sich den Fähigsten als ihren Lehrer aus, stellen Fragen und profitieren sehr vom Gespräch. Kommunizieren beim gemeinsamen realen Umgang mit den Dingen – Tun, Erklären, Instruieren, Handhaben, Üben – ist die mit Abstand effektivste Form des Lernens. Das gibt es nur beim Menschen und hat uns so erfolgreich gemacht. Seit es die Schrift gibt, wird das Lesen und Schreiben in Schulen gelernt, die so aussehen wie etwa heute, nur mit weniger (fünf bis sieben) Schülern. Menschen essen ja auch seit Jahrtausenden gemeinschaftlich. Da fragt ja auch keiner nach digitalen Alternativen!

Manfred Spitzer © Markus KoelleProf. Dr. Dr. Manfred Spitzer hat den Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität Ulm inne. Zudem leitet er die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und gibt den psychiatrischen Anteil der Zeitschrift „Nervenheilkunde“ heraus. Spitzer gründete und leitet das „Transferzentrum für Neurowissenschaft und Lernen“ in Ulm. Darüber hinaus moderiert er eine Fernsehserie zum Thema „Geist und Gehirn“ und ist Autor des Bestsellers „Digitale Demenz“. Viele seiner zahlreichen Buchveröffentlichungen wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.