Teenager
KI und Berufsorientierung: Was Eltern über Zukunftsberufe wissen sollten
Angela Sommersberg · 14.10.2025
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Technische Berufe bieten spannende Chancen für Mädchen und Jungen. © Supachai /Adobe Stock
KI verändert die Berufswelt – was Eltern jetzt wissen sollten
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales prognostiziert: Im Jahr 2035 werden fast alle Berufe in Deutschland von Künstlicher Intelligenz (KI) betroffen sein. 2035 – das ist in gerade mal zehn Jahren. Logisch, dass solche Aussagen verunsichern und Fragen aufwerfen. Was ist mit meinem Job? Werden meine Fähigkeiten noch gebraucht? Bin ich abgesichert? Und Eltern von jugendlichen Kindern denken noch einen Schritt weiter: Was bedeutet das für mein Kind? Welche Jobs werden in Zukunft noch sicher sein? Wie kann ich mein Kind in dieser Situation dabei unterstützen, eine berufliche Perspektive zu finden? Fragen über Fragen. Nadine Lahn ist Wissenschaftskommunikatorin bei der Universität Stuttgart. Sie arbeitet im Projekt „KI-Studios“, das sich damit beschäftigt, wie sich die Arbeitswelt und die Ausbildungsmöglichkeiten durch Künstliche Intelligenz verändern werden.
Ausbildungs- und Studienangebote: So vielfältig wie nie zuvor
Doch zunächst einmal brauchen Eltern und Kinder einen Überblick: Welche Ausbildungsberufe gibt es überhaupt? Welche Studiengänge stehen zur Wahl? Wer sich durch das Angebot der Hochschulen und Universitäten klickt oder per Suchmaschine recherchiert, wird geradezu erschlagen von einer Vielzahl an Möglichkeiten. Gab es auch früher schon so viele unterschiedliche Studiengänge, fragt man sich da automatisch. Darauf können wir mit einem eindeutigen „Nein“ antworten. Laut Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz haben sich die Studienangebote innerhalb von 13 Jahren nahezu verdoppelt: von 11.000 im Wintersemester 2007/2008 auf 20.000 im Wintersemester 2020/2021.
Neue Studiengänge durch KI und Digitalisierung
IT-Kompetenz ist gefragt: Studiengänge wie Data Science oder Medieninformatik eröffnen neue Perspektiven für junge Menschen. © peopleimages.com/Adobe Stock
„Die Studienangebote sind deutlich vielfältiger geworden“, sagt Nadine Lahn. „Das liegt unter anderem daran, dass klassische Fächer aufgespalten und mit anderen kombiniert werden. Heute können junge Menschen zum Beispiel nicht nur Informatik studieren, sondern auch Wirtschaftsinformatik, Medizininformatik oder Medieninformatik.“ Der Vorteil: Auf diese Weise erwerben die Studierenden schon in der Ausbildung breitere Kompetenzen und können besser mit den technischen Anforderungen umgehen, die im Berufsleben auf sie zukommen. Der etwa zehn Jahre alte Studiengang „Wissenschaftskommunikation“, den Lahn selbst studiert hat, ist ein Beispiel dafür. Er kombiniert den Bereich Kommunikationswissenschaft mit einem naturwissenschaftlichen oder technischen Fach wie Bio, Physik oder Informatik. Die Studierenden können später zum Beispiel als Wissenschaftsjournalisten arbeiten. Auch ganz neue Berufsbilder sind durch die technischen Veränderungen in der Arbeitswelt entstanden, wie der Studiengang „Data Scientist“, der Informatik, Statistik und Programmieren kombiniert und den Studierenden beibringt, KI-Systeme zu programmieren, zu analysieren und zu warten.
Weniger Ausbildungsberufe – aber neue Chancen im digitalen Wandel
Doch während die Vielfalt an Studiengängen immer weiter gestiegen ist, hat sich die Anzahl der Ausbildungsberufe in den vergangenen 50 Jahren laut dem Statistik-Portal statista nahezu halbiert: Im Jahr 1971 gab es 606 anerkannte Ausbildungsberufe in Deutschland, im Jahr 2023 waren es noch 328. Das liegt einerseits daran, dass viele ehemalige Handwerksberufe durch Studiengänge abgelöst wurden. Andererseits aber auch daran, dass mehr junge Menschen studieren und weniger eine Ausbildung machen wollen. Doch auch die technischen Neuerungen haben ihren Einfluss darauf: So wurde beispielsweise die Ausbildung zur/zum Bürokauffrau/-kaufmann zusammengelegt mit der Ausbildung zur/zum Fachangestellten für Bürokommunikation. Der neue Ausbildungsberuf nennt sich jetzt Kaufmann/ Kauffrau für Büromanagement. „Durch Digitalisierung und Automatisierung müssen manche Tätigkeiten nicht mehr manuell ausgeführt werden – und dafür brauchen Unternehmen dann auch keine Fachkraft mehr“, erklärt Nadine Lahn. Gleichzeitig sind durch die Veränderungen am Arbeitsmarkt neue Ausbildungsberufe hinzugekommen, zum Beispiel die Ausbildung zum/zur Kaufmann/ Kauffrau im Bereich E-Commerce.
Wie KI die Arbeitswelt von morgen verändert
Teamarbeit und technisches Know-how: Viele neue Berufsbilder entstehen an der Schnittstelle von Mensch und KI. © Gorodenkoff/Adobe Stock
Wie bereits gesagt, geht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales davon aus, dass fast alle Berufe in Deutschland in zehn Jahren von KI betroffen sein werden. „Viele Jobs werden sich verändern, einige mehr, andere weniger“, sagt Nadine Lahn. Im Büroalltag werde KI den Menschen in Zukunft mehr und mehr kleine Tätigkeiten abnehmen. Auch im Journalismus werden kurze Meldungen, Sportergebnisse oder Wetterberichte teils schon jetzt nicht mehr von Menschen geschrieben. „Der IT-Bereich wird stark wachsen, auch nachhaltige Technologien werden ein großes Thema sein“, so die Wissenschaftskommunikatorin. Trotzdem geht sie fest davon aus, dass menschliche und soziale Fähigkeiten wie Teamgeist oder Menschenkenntnis weiterhin wichtig bleiben und nicht von KI ersetzt werden können – und sollen. Denn das ist ja auch eine ethische Frage. Deswegen sind die Bereiche Gesundheit, Psychologie, Pflege und Soziales auch jene, die am wenigsten von KI betroffen sein werden, prognostiziert Nadine Lahn. Gerade in diesen Berufen wird der Fachkräftemangel noch weiter ansteigen – je weiter der demografische Wandel voranschreitet. Schwer einzuschätzen findet Lahn hingegen, wie sich kreative Berufe durch die neuen Technologien verändern könnten. „Ich glaube, dass KI die Kreativität ergänzen kann, aber nicht ersetzen wird.“
Welche Berufe haben Zukunft? Orientierung für Eltern und Jugendliche
Und nun? Sollten wir alle unseren Kindern aus Sicherheitsgründen dazu raten, Arzt, Psychologin, Pfleger oder ITlerin zu werden? „Nein“, sagt Nadine Lahn. „Mein Ansatz geht in eine ganz andere Richtung: Eltern sollten ihre Kinder als Erstes dazu motivieren, herauszufinden, wofür sie sich überhaupt interessieren, wo ihre Stärken und Schwächen liegen.“ Dabei könnten auch Persönlichkeitstests helfen, die Industrie- und Handelskammer (IHK) biete zum Beispiel den „Talent Check Test“ an. Auch Arbeitsagenturen seien seriöse Ansprechpartner und könnten bei der Orientierung helfen. Und dann rät Nadine Lahn: „Viele Eltern wünschen sich ja – bewusst oder unbewusst –, dass ihr Kind eine ähnliche Laufbahn einschlägt wie sie selbst. Es ist schön, den Kindern den eigenen Beruf nahezubringen, aber man sollte sich vor allem auf die individuellen Fähigkeiten des Kindes konzentrieren.“
Berufsorientierung mit System: So finden Jugendliche ihren Weg
Hat das Kind herausgefunden, welche Berufsfelder für es in Frage kommen, geht es an die Recherche. Nadine Lahn rät dazu, sich nicht nur im Internet zu informieren, sondern auch auf Ausbildungs- und Studienmessen. „Für viele Teenager ist es bestimmt hilfreich, wenn ein Elternteil mitkommt und beim Gespräch mit den Ausstellern zur Seite steht“, vermutet Lahn. Wichtig findet sie auch, schon während der Schulzeit in den (vermeintlichen) Traumberuf reinzuschnuppern. Ganz niedrigschwellig geht das mit Tagen der offenen Tür, die viele Unternehmen anbieten, oder Aktionstagen wie dem Girls’ Day oder dem Boys‘ Day. Die Universität zu Köln etwa bietet die KölnerKinderUni an, ein Programm, bei dem Schüler:innen verschiedene Forschungsbereiche kennenlernen können. Auch Praktika – während der Schulzeit oder freiwillig in den Ferien – können Jugendliche nutzen, um erste Erfahrungen zu sammeln. Nadine Lahn erzählt: „Ich wollte als Jugendliche unbedingt Tierärztin werden. Nach einem Praktikum war mir aber klar, dass das nicht das Richtige für mich ist.“ Auch ein Berufsfeld ausschließen zu können, ist eine wichtige Erkenntnis. Außerdem rät Lahn Jugendlichen, die einem kleinen Nebenjob nachgehen wollen, dazu, diesen in einer für sie interessanten Branche zu suchen. „Eltern können ihre Kinder ruhig schon mit 13 oder 14 Jahren auf das Thema Berufswahl ansprechen – aber ohne Druck zu machen“, sagt Nadine Lahn.
Mit Gelassenheit in die Zukunft – wie Eltern auf KI vorbereiten können
Digitale Tools sind heute fester Bestandteil vieler Berufe – wer den Umgang mit KI beherrscht, hat Vorteile im Job. © Gorodenkoff/Adobe Stock
Zum Schluss möchte Nadine Lahn die Sorge vor KI etwas mindern. „Dass sich die Arbeitswelt durch neue Technologien verändert, ist ganz normal. Früher wurde per Hand gewebt, irgendwann gab es den Webstuhl, heute weben Maschinen. Auch die Idee von KI ist nichts Neues. Informatik als Fach gibt es schon seit den 1950er Jahren und im Prinzip hat sich alles nur weiterentwickelt und ist besser zugänglich geworden.“ Sie rät Eltern dazu, sich nicht vor aktuellen Entwicklungen zu verschließen, sondern neue Tools und KI wie ChatGPT anzunehmen und einfach mal auszuprobieren – um die Angst zu nehmen und ein gewisses Grundwissen zu erwerben. „Im Endeffekt wird es nicht die KI sein, die einem den Job wegnimmt, sondern eine Person, die besser mit KI umgehen kann“, sagt Nadine Lahn. Sie rät dazu, sich darauf einzustellen, dass Tätigkeiten sich immer weiter verändern und entwickeln. „Wenn Eltern das akzeptieren und entspannt mit der Arbeitswelt und ihren Veränderungen umgehen, sind sie für ihre Kinder ein tolles Vorbild. Das ist die beste Möglichkeit, den Jugendlichen die Angst vor der Zukunft zu nehmen.“