Wir brauchen deine Unterstützung, jeder Cookie zählt!

Wir verwenden Cookies, um die Nutzung unserer Webseite zu verbessern, bestimmte Funktionen zu ermöglichen und vor allem, um unsere Arbeit zu finanzieren. Du kannst dem jederzeit in unserer Datenschutzerklärung widersprechen.

Akzeptieren
Essenziell

Diese Technologien sind erforderlich, um die Funktionalität der Webseite zu ermöglichen.

Statistik

Mit diesen Technologien analysieren wir die Nutzung der Webseite, mit dem Ziel, unsere Arbeit zu verbessern.

Marketing

Diese Cookies sind Grundlage für unsere Einnahmen. Wir nutzen Google Adsense, um Anzeigen unserer Werbekunden auf der Webseite einzustellen. Hier erfährst Du, wie personenbezogene Daten zur Personalisierung von Anzeigen verwendet werden.

Komfort/Externe Medien

Diese Technologien werden verwendet, um dir ein besseres Nutzungserlebnis zu ermöglichen.

Teenager

Das Empty Nest Syndrom

Ursula Katthöfer · 09.11.2017

zurück zur Übersicht
© Lordn/iStockPhoto.com

© Lordn/iStockPhoto.com

Erst fahren die Kinder allein in die Jugendfreizeit. Dann wollen sie für ein Jahr ins Ausland. Irgendwann ziehen sie aus. Weg sind sie. Und der Satz „Mach doch endlich die Musik leiser“ klingt nur noch hohl. Traurig, aber irgendwie auch schön.

Das Empty Nest Syndrom beginnt mit einem Gefühl der Verwirrung. Was mache ich plötzlich mit dem Geld, der Zeit und dem Kinderzimmer? Es folgen Traurigkeit, Trennungsschmerz, Leere und Selbstzweifel. Das kann bis zur Depression führen. Es betrifft häufig Mütter, die ihre eigene Karriere hinten angestellt haben. Je mehr das Leben der Kinder – ihre Erfolge in Schule und Freizeit – zum eigenen Lebensinhalt wird, desto größer der Schmerz, wenn sie das Elternhaus verlassen. Auch die Veränderungen während der Menopause können eine Rolle spielen. In unserer Gesellschaft wird sie als Abschied von der Jugendlichkeit betrachtet. Das belastet. „Spinnen meine Hormone oder bin ich traurig, weil mein Kind weg ist?“ Das lässt sich nicht immer auseinander halten. Aber auch Väter leiden. Besonders, wenn sie gerade in den Ruhestand gegangen sind. „Jetzt habe ich endlich Zeit für die Kids und sie sind nicht mehr da.“

Es hilft, über das leere Nest zu reden. Und sich klarzumachen, dass diese Übergangsphase zum Leben gehört. Sie betrifft nahezu jeden, der erwachsene Kinder hat. Eltern haben sie sogar schon selbst erlebt, damals vor vielen Jahren: „Wie war das, als ich von zuhause auszog? Wie ging es mir dabei?“ Kleine Rituale, wie Naturvölker sie begehen, können trösten. So lassen sich die eigenen Gedanken auf einen Zettel schreiben. Während eines Lagerfeuers geht der Zettel in Flammen auf, die Gedanken verlieren sich im Himmel. Oder sie werden auf Papierschiffchen oder Blumen vom Wasser eines Baches davongetragen. „Du darfst gehen.“

Auch eine Liste mit Aktivitäten lenkt ab: „Was ich schon immer machen wollte.“ Am besten hängt sie in der Tür des Kleiderschranks oder an einem anderen Ort, an dem sie nicht zu übersehen ist. „Was macht mir Spaß? Welche Hobbys will ich wieder aufgreifen?“ Wichtig ist, die Geschwister, die noch zuhause wohnen, nicht zu vergessen. Auch sie erleben einen Verlust und möchten in ihrer Trauer geachtet werden. Schlimm, wenn sie Schuldgefühle entwickeln und nicht darüber reden. „Meine Eltern sind traurig, weil der Große weg ist. Jetzt komme ich nicht noch mit meinen Problemen.“ Wenn die traurige Stimmung sich nach einem Jahr nicht gebessert hat, empfiehlt es sich, Hilfe anzunehmen. Gespräche sind besser als Medikamente.

Studie: Väter leiden mehr als Mütter

„Mitten am Tag kommen mir die Tränen, und ich kann mir nicht erklären, warum. Was macht mich so traurig? Sie verlassen mich." So Barack Obama, ehemaliger US-Präsident, als seine jüngste Tochter Sasha aufs College ging. Alan Piper von an der Universität Flensburg zufolge ist Obama kein Einzelfall. Der Ökonom hat herausgefunden, dass vor allem Väter weniger glücklich und zufrieden sind, nachdem ihre Kinder ausgezogen sind. Eine mögliche Erklärung: „Väter haben in der Regel mehr Spaß- und Spielzeit mit den Kindern.“

Ist das Empty Nest Syndrom eine Krankheit?

Still-Café, Krabbelgruppe, Kitafest – wenn Kinder klein sind, gibt es viele Gründe für Mütter, sich zu treffen und miteinander zu reden. Warum nicht auch, wenn die Kinder aus dem Haus sind? So dachte die Heilpraktikerin und Familientherapeutin Bettina Teubert. Sie gründete Deutschlands erste Selbsthilfegruppe für Mütter, deren Kinder das Nest verlassen haben, die EnMoms.

Bei den regelmäßigen Treffen geht es um Themen wie:

- Ist das Empty Nest Syndrom wirklich eine Krankheit?
- Wie gehe ich mit Krisen um?
- Was bedeutet diese Phase für meine Partnerschaft bzw. Ehe?
- Von der aktiven zur passiven Mutterschaft

„Leider haben wir keine Selbsthilfegruppe zu diesem Thema“, heißt es aus der Selbsthilfekontaktstelle Köln. Auch die Bonner Kollegen bedauern, keine Gruppe vermitteln zu können. Für alle Eltern, die selbst eine Gruppe gründen möchten, haben beide Kontaktstellen Tipps und Infos.

Das Alte ist nicht mehr, das Neue ist noch nicht

Paare befinden sich nach dem Auszug der Kinder in einer Übergangsphase. Plötzlich allein, können Gefühle der Verlassenheit und Verunsicherung entstehen. Dem gilt es Raum und Zeit zu geben. Die Weiterentwicklung des Kindes ist mit Loslassen verbunden, was in der Kita beginnt und mit Einschulung und Pubertät fortschreitet. Hier ist es wichtig, dass Eltern sich im besten Falle schon von Beginn ihrer Erziehungszeit an bewusst machen, dass sie nur liebende Abschnitts-Begleiter ihrer Kinder sind.

Dann stellt sich die Frage, wie will ich mit meinem Partner zukünftig leben? Hilfreich ist es, sich mit gegenseitiger Anerkennung für das Geschaffte zu betrachten. Kleine Geschenke zeigen: Hey, du bist mir wichtig! Wünsche und Bedürfnisse sollten offen ausgetauscht werden. Ein Abschiedsfest feiern, die Wohnung umgestalten, Wochenend-Trips und kulturelle Veranstaltungen können z.B. helfen, dass gemeinsame Freude wieder erlebbar wird. Oftmals muss, will auch die sexuelle Ebene wieder neu belebt werden. Die Übergangsphase ist also eine Chance und Aufforderung, weiter zu wachsen. Paare können sich neu in Vertrauen üben und sich ihrer Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit) bewusster werden, dem großen Schatz, den sie als Paar gemeinsam zur Verfügung haben.

Zahlen und Fakten

Zehn Prozent der Mütter leiden laut einer US-Umfrage unter 1.000 Frauen am sogenannten Empty-Nest-Syndrom. Die Trauer begleitet sie bis zu zwei Jahre lang.
Quelle: "Beyond the Mommy Years"

Im Jahr 2015 lebten in NRW 59 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren noch bei den Eltern. Zehn Jahre zuvor waren es sogar 61,2 Prozent. Dabei gibt es ein Stadt-Land-Gefälle. Auf dem Land bleiben junge Leute länger im Haushalt der Eltern, im Rheinisch-Bergischen Kreis leben über 70,5 Prozent noch bei den Eltern. In den Universitätsstädten hingegen ziehen sie früher aus, auch in Köln und Bonn.

Auffällig ist, dass Jungen länger bei den Eltern wohnen als Mädchen. 34,5 Prozent der 25-jährigen Männer und 20,3 Prozent der 25-jährigen Frauen haben das elterliche Nest noch nicht verlassen. Grund für den Unterschied ist offenbar, dass Frauen früher eine feste Beziehung eingehen als Männer.

Wichtigster Grund, bei den Eltern wohnen zu bleiben, ist nicht etwa das „Hotel Mama“, in dem Mutter Wäsche wäscht und Essen kocht, sondern das geringe Einkommen von Auszubildenden und Studenten. „Das Vorurteil, junge Erwachsene blieben aus Bequemlichkeit zu Hause, stimmt nicht“, sagt der Präsident des Statistischen Landesamtes NRW, Hans-Josef Fischer. „Wir können die Komfortzone, in der man es sich gemütlich macht, für NRW nicht bestätigen.“
Quelle: IT.NRW

Zwei von drei Deutschen meinen, dass junge Leute bis zu ihrem 25. Geburtstag aus dem elterlichen Haus ausgezogen sein sollten.
Quelle: YouGov

Forscher der Universität Heidelberg fanden heraus, dass das Scheidungsrisiko im „verlassenen Nest“ besonders hoch ist. Das belegt auch die Statistik, nach der Paare sich zunehmend später scheiden lassen: Knapp 27 Prozent aller Scheidungen aus dem Jahr 2016 waren nach 21 oder mehr Ehejahren. Die Zahl der Scheidungen nach einer Ehedauer von 26 und mehr Jahren hat sich von 1992 bis 2012 mehr als verdoppelt. Gründe sind der Auszug der Kinder und der Eintritt ins Rentenalter.

Quelle: Statistisches Bundesamt 

Knapp 30 Prozent der Kinder und Eltern leben in Deutschland maximal fünf Kilometer voneinander entfernt. Fast die gleiche Menge lebt maximal 25 Kilometer auseinander. Bei elf Prozent sind es mehr als 500 Kilometer.
Quelle: Isengard, Bettina: „Der Apfel lebt nicht weit vom Stamm", Wohnentfernungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern in Europa, 2013

Beratung

Die Stadt Köln bietet viele Familienberatungsstellen.

Die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. bietet eine Online-Beratung an.

Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen (EFL)

Erziehungs- und Familienberatungsstelle der Stadt Bonn.

Kath. Familien- und Erziehungsberatung für Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis.

Ev. Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene

Begriffe

Full-Nest-Syndrom

Nicht alle Kinder ziehen aus. Kein Geld, kein Partner, keine Waschmaschine. Es gibt viele Gründe, bei den Eltern oder einem Elternteil wohnen zu bleiben. Die Boomerang Kids waren bereits flügge, ziehen aber wieder ein. Auch das kann Eltern psychisch belasten.

Empty-Nest-Wanderer

Manche Eltern ziehen um, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Die Empty-Nest-Wanderer starten in ein anderes Leben, manchmal mit neuem Partner. Andere wechseln den Wohnort, um in der Nähe der Kinder zu bleiben. Vielleicht kommen Enkelkinder.

Das sagt der Arzt

Ein Anpassungsproblem an die Übergangsphasen im Lebenszyklus – so bezeichnen Mediziner das Empty Nest Syndrom. Es ist wissenschaftlich längst erforscht. So hat die Allen Carr Addiction Clinic in London – eine Suchtklinik – herausgefunden, dass manche Eltern nach dem Auszug des Kindes mehr rauchen, trinken und ungesünder essen. Sie müssten sie nicht mehr Vorbild sein.

Buchtipps

Ausgeflogen

„Das Kinderzimmer hat endgültig ausgedient, auch wenn es längst nicht mehr wie ein niedliches Kinderzimmer aussieht, sondern zum chaotisch vollgerümpelten Teenager-Domizil mutiert ist. Psychologisch betrachtet hat es ein große symbolische Bedeutung, wenn ein Kind sein ehemaliges Kinderzimmer auflöst: Es beendet damit eine ganze Ära, in der es sich in einer bestimmten Rolle befunden hat, nämlich in der Rolle des Schutzbedürftigen und Abhängigen. Genau genommen kündigt Ihr Kind Ihnen nicht nur die Wohnung, sondern auch die Rolle des Kindes.“

Aus: Felicitas Römer: „Ausgeflogen - Wie Sie es sich im »leeren Nest« wieder gemütlich machen“
Patmos, 2012
14,90 Euro

Mutti allein zuhaus

„Jede Mutter kann schlafen lernen“ – dieses Buch muss Lotte Kühn zufolge noch geschrieben werden. Witzig und selbstironisch erzählt die alleinerziehende Mutter, wie sie sich nach jahrelangem Einsatz für ihre Kinder selbst überflüssig machte. Zur Therapie schlägt sie die „Anonymen Melancholikerinnen“ vor.

Lotte Kühn: „Mutti allein zuhaus: Vom Leben mit nestflüchtigen Kindern“
Bastei Lübbe
9,90 Euro
eBook 7,49 Euro

Weg!

Ein sehr persönliches Buch: „Wenn die Kinder das Haus verlassen, wird dein Leben umgeschrieben. Es ist eine gewaltige Anpassung. In meiner Erfahrung fühlte ich mich, als ob ich von den Wellen überspült wurde, als ob ich meine Kontrolle an die fegende Flut abgab.“ Mit „Weg!“ schrieb Ruth Bleakley-Thiessen ein sehr persönliches Buch, das für andere als Selbsthilfe gedacht ist. Hier spricht keine Wissenschaftlerin, sondern eine Mutter, die im Selbstverlag aus eigenen Erfahrungen berichtet.

Ruth Bleakley-Thieesen: Weg! Ein Leitfaden zum Umgang mit dem Auszug der KInder von Zuhause
CreateSpace Independent Publishing Platform, 2017
7,92 Euro
Kindle Edition kostenlos

„Hurra, wir lieben noch“

Margie Kinsky und Bill Mockridge„Hurra, wir lieben noch“
Knaus, 2017
broschiert 16,00 Euro
eBook 12,99 Euro

On the Nest – Familienfotos ohne Kind

Die amerikanische Fotografin Dona Schwartz portraitiert zwei wichtige Phasen des Elternseins: Die Geburt des ersten und den Auszug des letzten Kindes. Ihre Fotos sind großformatige Milieustudien, die glücklich und traurig zugleich machen. Alle Eltern, die sich an das leere Nest gewöhnen, stehen in den Zimmern ihrer Kinder. Da ist die alleinerziehende Karen, der nur Kisten und Körbe voller Gerümpel und leerer Pfandflaschen geblieben sind. Chris und Susan halten sich zwischen Schreibtisch und Patchworkdecke ihrer Tochter aneinander fest. Wendy und Phil hingegen schauen entschlossen in die Zukunft, nur zwei offene Schubladen erinnern an den Wegzug des Kindes.

Dona Schwartz: On the Nest
Kehrer Verlag
39,90 Euro

Tags: