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Wie ticken Jugendliche?
Redaktion · 24.07.2020
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Teenager © Adobe Stock
Wie wurde die Studie durchgeführt?
Die SINUS-Studie ist eine sogenannte „qualitative Studie“. Bei einer solchen Studie geht es nicht darum, möglichst viele Teilnehmende aus unterschiedlichen Lebenswelten zu befragen und im statistischen Sinne repräsentative Ergebnisse zu bekommen. Qualitative Forschung möchte eher psychologisch wirksame Einflussfaktoren in Bezug auf verschiedene Themen verstehen und beschreiben.
Für die SINUS-Studie haben deshalb professionell geschulte Interviewer*innen mit 72 Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren gearbeitet und versucht, sie möglichst gut kennenzulernen. Die Jugendlichen haben zum Beispiel ein „Hausarbeitsheft“ geführt und über sich berichtet. Sie schrieben auf, welche Musik sie gern hören, was sie gern essen, warum sie Sport machen oder was sie für ihre Gesundheit tun. Manche Fragen gingen tiefer, dann beschrieben die Jugendlichen, wann sie sich besonders wohl oder unwohl gefühlt haben, wie sie später leben möchten, auf was sie nicht verzichten möchten, was ihrem Leben Sinn gibt und einiges mehr. Später wurde ein 90 Minuten langes Interview bei den Jugendlichen zu Hause geführt, bei dem sie viel Spielraum zur Selbstdarstellung und Selbstbeschreibung hatten. Die Zimmer der Teilnehmenden wurden fotografiert, die Forscherinnen und Forscher führten später noch einmal telefonische Interviews und die Jugendlichen selber haben zusätzlich ihren Alltag fotografiert.
Wer steht hinter der Studie?
Das unabhängige, inhabergeführte SINUS-Institut für psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung und Beratung hat die Studie durchgeführt. Den Auftrag hat SINUS von der Bundeszentrale für politische Bildung, der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, der BARMER, dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend, dem Deutschen Fußball-Bund, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, der Deutschen Sportjugend und der DFL Stiftung bekommen. Für die Arbeit dieser Auftraggeber ist es wichtig, zu wissen, was die Jugendlichen heute denken und fühlen.
Was hat die Studie ergeben?
Grob zusammengefasst: Die junge Generation ist ernster geworden, Party, Fun und Action verlieren an Bedeutung. Die jungen Menschen sind eher gedämpft optimistisch, nur wenige der Befragten zeigten sich enthusiastisch und zukunftsfroh.
Viele Jugendliche sind sich darüber im Klaren, dass das Überleben des Planeten in Gefahr ist, eine Umwelt- und Klimakatastrophe droht. Sie machen sich aber nicht nur darüber Sorgen, sondern auch über Migration und Zuwanderung, über den Leistungsdruck in Schule und Beruf, über ihre Freunde und Familien, über einen ständigen Zeitdruck ... „Fast scheint es, als sei der Jugend der Spaß abhandengekommen,“ befinden die Macher der Studie.
Der jugendliche Zeitgeist heute ist grün und bewahrend. Die meisten Jugendlichen bezeichnen sich als bodenständig. Ein dominanter Zukunftswunsch vieler Jugendlicher ist es, in der „Mitte der Gesellschaft“ anzukommen, sie streben eine „bürgerliche Normalbiografie“ an mit Schule, Ausbildung oder Studium, Beruf, Ehe, Familie und Kindern. Sie wünschen sich gute, abgesicherte Lebensverhältnisse. Zu ihren wichtigen Werten zählen soziale Geborgenheit und Loyalität sowie altruistische Werte wie Hilfsbereitschaft und Toleranz.
Viele Teenager fühlen sich von der Politik weder gehört noch ernst genommen. Sie beklagen die fehlende Teilhabe der jungen Generation an politischen Entscheidungsprozessen und die mangelnde Repräsentation im politischen Raum. Sogar in ihrem direkten Lebensumfeld Schule sehen sie keine Möglichkeiten für Mitbestimmung, Schule wird als statisches und kaum gestaltbares System erlebt. Aus Jugendsicht wird Politik in erster Linie von „alten weißen Männern“ dominiert und geprägt. Die Klimakrise wird aus jugendlicher Perspektive von den Verantwortlichen (Politik, Wirtschaft, ältere Generation) nicht ernst genommen; mögliche Problemlösungen werden verschleppt oder sogar hintertrieben.
Wie empfinden die Jugendlichen die Corona-Krise?
Die bisher beschriebenen Daten und Aussagen wurden zwischen März und Juni 2019 gesammelt und anschließend ausgewertet – und dann kam Corona. Den Forscherinnen und Forschern war aber schnell klar, dass eine Jugendstudie, die im Jahr 2020 erscheint, nicht ohne Befunde zur Corona-Krise auskommen kann. Deshalb führten sie im Mai 2020 mit den ursprünglichen Teilnehmenden weitere Interviews, und sprachen mit ihnen über die Corona-Krise und deren Auswirkungen auf ihr Leben. Das kam dabei heraus:
Solidarität mit anderen spielt in der Corona-Krise eine zentrale Rolle. Die befragten Jugendlichen haben zwar wenig Angst davor, sich selbst mit dem Virus zu infizieren, befürchten aber, andere Menschen anzustecken (Ältere, Großeltern etc.). Die meisten sehen es als ihre soziale und gesundheitliche Verantwortung, die Krise ernst zu nehmen und sich um ihre Mitmenschen zu sorgen. Die Einschränkungen der persönlichen Freiheit und das reduzierte Freizeitangebot nerven zwar viele, sie erkennen jedoch die Notwendigkeit, sich damit zu arrangieren. Die meisten schätzen die Auswirkungen der Pandemie auf ihr persönliches Leben bisher als nicht sonderlich schwerwiegend ein.
Bei der Frage nach den Informationsquellen führen die Befragten überwiegend öffentlich-rechtliche Sender, Onlinezeitungen sowie Apps von Zeitungsanbietern und anderen Nachrichtendiensten an. Social-Media-Angebote werden zwar genutzt, sie bezweifeln aber deren Seriosität. Fast alle Jugendlichen sind schon mit Fake News und Verschwörungsmythen konfrontiert gewesen. Sie trauen ihnen aber in den meisten Fällen nicht und glauben, sie erkennen und mit ihnen umgehen zu können.
Der Politik stellen die Jugendlichen in der Krise ein gutes Zeugnis aus. Sie vertrauen den Akteuren und sehen die veranlassten Maßnahmen als nachvollziehbar und verhältnismäßig an. Kritisiert wird allerdings die nach Meinung der Jugendlichen verfrühte Wiedereröffnung der Schulen und dass die Chance verpasst wurde, in dieser Debatte das Vertrauen der Jugend zu gewinnen, in dem man sie hätte zu Wort kommen lassen.
Info
Die Studie ist im Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb als Buch oder kostenlos als ePub verfügbar: www.bpb.de/311857.