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Psychische und physische Gewalt gegen Kinder
DKSB · 29.10.2018
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Elternschule © Zorro Film
Vielfach wurde der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) Bundesverband e. V. in den letzten Wochen zu dem Kino-Dokumentarfilm „Elternschule“ um eine Positionierung gebeten. Die öffentliche Darstellung der therapeutischen Interventionen in Familien in der psychosomatischen Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen hat zu zahlreichen Kontroversen und Diskussionen, insbesondere in den sozialen Medien, über die angewandten Praktiken geführt.
Gewalt gegen Kinder
Nachdem nun Gelegenheit war, den Kinofilm anzusehen, hat sich der Eindruck aus dem Trailer bestätigt: Es gibt in diesem Film zahlreiche Szenen, in denen psychische und physische Gewalt gegen Kinder, zumeist kleine Kinder, in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen gezeigt wird. Der Deutsche Kinderschutzbund will nicht in Abrede stellen, dass die im Film gezeigten Kinder und ihre Eltern in großer Not sind und eine intensive Unterstützung benötigen. Aber als Kinderschutzbund können wir nicht darüber hinwegsehen, dass viele Szenen einen gewaltvollen Charakter haben. Einen solchen Weg sollten wir nicht einschlagen und als „Elternschule“ anpreisen.
Recht auf gewaltfreie Erziehung
Jedes Kind hat ein Recht auf gewaltfreie Erziehung (Art. 19 der Kinderrechtskonvention und § 1631 Abs. 2 BGB) sowie die Berücksichtigung seines Willens (Art. 12 der Kinderrechtskonvention). Für Eltern, die zu einer anleitenden, gewaltfreien Erziehung Unterstützung brauchen, gibt es verschiedenste Hilfsangebote der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe. So gibt es z. B. beim Kinderschutzbund, aber auch bei vielen anderen Organisationen vor Ort, neben Elternkursen Angebote von der Erziehungsberatung bis hin zur sozialpädagogischen Familienhilfe. Sollten Eltern nicht wissen, wo sie passende Hilfen vor Ort finden können oder unter starkem Stress stehen, können sie sich an das bundesweite, kostenlose Elterntelefon unter der Rufnummer 0800 111 0550 wenden (montags bis freitags 9-11 Uhr sowie dienstags und donnerstags 17-19 Uhr).
Mitarbeiter*innen in Kindertageseinrichtungen und Schulen sowie anderen Zusammenhängen, in denen Kinder betreut und erzogen werden, ist ein gewaltbelastetes Verhalten untersagt. Gewaltvolles Handeln gegenüber den anvertrauten Kindern kann zu arbeits- und zivilrechtlichen sowie ggf. strafrechtlichen Konsequenzen führen.
Eltern und Kinder in einer Kampfbeziehung
Der Film „Elternschule“ zeigt einige verzweifelte Mütter. Ihnen wird vermittelt, dass ihre Probleme gelöst werden, wenn sie möglichst hart zu ihren Kindern sind. Die Methode basiert darauf, dass die Eltern-Kind-Beziehung eine Kampfbeziehung sei. Sie kann in Deutschland kein Vorbild für die Erziehung von Kindern sein. Zumal die zumindest mittelfristige Wirksamkeit ungeklärt ist. Der Kinderschutzbund rät Eltern darum vom Besuch dieses Filmes ab.
Der Kinderschutzbund ist verwundert, dass einige seriöse Medien den Film als „ein Muss für jeden, der selbst Kinder hat“ bewerben. Wir fragen, wie es dazu kommen kann, dass das Recht auf gewaltfreie Erziehung leichtfertig ignoriert wird. Die im Film gezeigten Praktiken in der Erziehung und Betreuung von Kindern verstoßen gegen geltendes Recht. Sie führen zu einer Verunsicherung von Eltern im Umgang mit Kindern. Eine entwicklungsfördernde Erziehung basiert auf Schutz, Beteiligung und Berücksichtigung des kindlichen Willens, statt eines ausschließlich machtvollen Durchsetzens der Eltern gegenüber ihren Kindern. Mütter und Väter können in Situationen kommen, in denen sie und ihr Kind therapeutische Unterstützung benötigen. Hier haben Medizinerinnen und Mediziner neben den Jugendämtern eine große Verantwortung und müssen das Kindeswohl sicherstellen. Die im Film gezeigte Vorgehensweise erzeugt dem gegenüber die Frage, ob im Zuge der Behandlung das Kindeswohl gefährdet wird.
Öffentliche Vorführung von Kindern
Inwiefern tatsächlich Regulationsstörungen bei den Kindern vorliegen, wie im Film immer wieder betont wird, lässt sich per Ferndiagnose nicht entscheiden. Ob die angewandte psychische und physische Gewalt im Rahmen der Verhaltenstherapie in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen zur Behandlung psychosomatischer Erkrankungen zulässig und notwendig ist oder einen Anfangsverdacht der Misshandlung Schutzbefohlener nach § 225 StGB darstellt, muss von der zuständigen Staatsanwaltschaft geprüft und durch das Gericht entschieden werden.
Einzelne Kinder werden in dem Film als „egoistische Strategen und Taktiker“ öffentlich vorgeführt. Inwiefern diese öffentliche Darstellung der Kinder und auch ihrer Eltern, deren Sorgen, Nöte und Verzweiflung mit der ärztlichen Ethik in Einklang steht, muss von den Selbstverwaltungsorganen, wie z. B. den Ärztekammern bewertet und entschieden werden.
Wir appellieren an alle Bürgerinnen und Bürger für das Recht auf gewaltfreie Erziehung einzutreten - gerade dann, wenn uns ein Kind besonders herausfordert.