Kolumne
Spieglein, Spieglein
Frau Karli · 18.07.2014
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An tristen Regentagen tauchen meine fünfjährige Tochter M. und ich gerne in die Urzeit ab: Im flackernden Schein der Fahrradlampe, die vom Regal baumelt, graben wir stundenlang Saurierknochen aus (tolle Sache übrigens, diese Ausgrabungssets). M. nennt sich während solcher wissenschaftlich wichtigen Arbeiten immer Frau Dr. Gringmuth – und ich bin ihre namenlose (da austauschbare) Assistentin. Selbstverständlich muss ich sie siezen, während sie mich duzt. Das macht mir nichts aus, es liegt an der hierarchischen Personalstruktur des imaginären Forschungsinstitutes, für das wir beide tätig sind.
Als Vorgesetzte ist Dr. Gringmuth manchmal etwas steif, aber im Großen und Ganzen gütig und freundlich. Meine nicht immer ganz akkuraten Zeichnungen nickt sie meistens ab, nur in seltenen Fällen verlangt sie eine Korrektur. Einmal wurde sie richtig persönlich und erzählte mit versonnenem Lächeln von ihrem Mann (der zugleich Koch und Arzt und Sänger ist) und ihren vier wohlgeratenen Kindern. Ah, ich liebe diese Rollenspiele! Viel versprechende Bilder steigen vor meinem inneren Auge auf: M. als glücklich verheiratete, erfolgreiche Wissenschaftlerin, die mühelos Kinder und Karriere wuppt und bei alldem auch als soziales Wesen attraktiv geblieben ist. Ja, eine solche Zukunft kann ich mir für meine Tochter sehr gut vorstellen.
Gelegentlich spielt sie auch Rollenspiele, die mir nicht so gut gefallen. Die spielt sie nicht mit mir, sondern mit ihren Puppen. Sie als Mutter, die Puppen sind ihre Kinder. Die verspannte Irre, die M. als Mutter darstellt, hat mit der gütigen Dr. Gringmuth allerdings nicht viel gemeinsam. Meistens trifft es den armen Kuschelhund Rufus. „Es reicht mir!”, höre ich M. dann keifen. „Entweder du kommst jetzt oder ich gehe ohne dich. Jeden Tag diese Trödelei, JEDEN TAG!” Manchmal bin ich versucht, Rufus zu verteidigen. Doch ich will die Autorität meiner Tochter vor ihren Kindern nicht untergraben. Und überhaupt gefällt mir das Archäologen-Rollenspiel viel besser.
Herzlichst Ihre
Frau Karli
© John Krempl/photocase.com