Kolumne
Sadistische Klavier - Lehrerin
Frau Karli · 02.06.2016
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Meine weise, sadistische achtjährige Tochter M. hat eine neue Methode entwickelt, um mich regelmäßig ausgiebig und genussvoll zu entwürdigen: Sie darf mich nun bis zu fünf Mal pro Woche am Klavier „unterrichten”. Nach ihren eigenen Übungseinheiten stehe ich ihr eine halbe Stunde als Schülerin zur Verfügung. Auf diesen Tandem-Deal habe ich mich natürlich nur eingelassen, um sie häufiger ans Klavier zu locken. Hätte ich doch nur geahnt, welche Dämonen in dem Kind schlummern!
Eine Session läuft in der Regel so ab: Vor dem Üben piekst M. mich mit Essstäbchen (an für das flüssige Spiel angeblich wichtigen Punkten des Körpers – ich bezweifle jedoch ernsthaft, dass in meinen Brüsten irgendwelche klavier-relevanten Meridiane verlaufen) und nötigt mich, pseudospirituelle Phantasiephrasen über mich ergehen zu lassen oder gar nachzusprechen. Vielleicht sollte ich hier anmerken, dass mein chinesischer Großvater sich auch regelmäßig selbst akupunktiert hat (mit Strom!). Deshalb hatte ich zunächst keine Einwände. Aber ganz ehrlich: Inzwischen erscheint mir die ganze Nummer mehr als fragwürdig und ich überlege, wie ich da wieder rauskomme. Wenn ich mich verspiele, schimpft sie nicht einmal richtig, sondern schließt nur resigniert die Augen, als wäre meine bloße Existenz auf diesem Planeten eine bedauerliche Entgleisung des Universums.
Dazu muss gesagt sein, dass ich schreckliche Karmaschulden zu begleichen habe. Jahrelang habe ich, die ich bloß sehr begrenzte, primitivste Fähigkeiten am Klavier besitze, das Kind angetrieben und angeblafft, weil es meinem sensiblen Gehör nicht gerecht wurde. Das führe ich auf meine berufliche Prägung zurück: Ich habe jahrelang als Synchronregisseurin gearbeitet – da darf und muss man schließlich auch Sprecher anleiten, ohne selbst die Sprechtechnik professionell zu beherrschen. Neuerdings legt meine Tochter noch einen drauf und zwingt mich, unsere Sessions aufzuzeichnen. Wenn sie sie dann anschließend abspielt, lacht sie immer Tränen. Und ich frage mich, wann meine Schulden endlich abgetragen sind ...
Herzlichst Ihre
Frau Karli
© John Krempl/photocase.com
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