Kolumne
Klein, fusselhaarig, überschätzt
Frau Karli · 12.05.2015
zurück zur ÜbersichtSo sieht der neue Chef der Familie aus. Foto: Pexels
Ich sage Ihnen jetzt mal was: Selbstbewusstsein sollte man im Keim ersticken. Kleine Menschen, die sich zu viel zutrauen, machen das Leben nur unnötig kompliziert und blockieren den Lauf der Dinge. Unser Baby zum Beispiel hält sich für hochbegabt, ist es aber nicht. Die nervtötenden Anwandlungen frühkindlicher Selbstüberschätzung beeinträchtigen unseren gesamten Alltag, speziell meinen. Alles will das Kind neuerdings selber machen: Gefäße öffnen, Brote schmieren, Schuhe anziehen. Als ob ich das alles nicht viel besser und schneller könnte!
Und die qualvollen endlosen „Musik“-Sessions! Mehrmals täglich muss ich mich an das Klavier setzen, wo das fusselhaarige Baby dann – von meinem Schoß aus – die Tasten betätigt. Einzeln. Mal leise, mal laut. Dann wieder leise. Dazwischen sinniert es, krickelt mit ernster Mine im Notenheft herum. Hält inne. Probiert dann eine Tastenkombination aus. Oho! Zwei Finger! Als ob das eine besondere Leistung wäre! Wissen Sie, ich könnte das Getue besser ertragen, wenn ich wenigstens ein bisschen mitklimpern dürfte – aber nein, das ist mir untersagt. Ich darf auch nicht nebenbei summen oder lesen, sonst ernte ich böse Blicke und auch mal einen Klaps. Stumm und untätig dasitzen muss ich, als ob ich sonst nichts zu tun hätte. Dabei stapeln sich auf meinem Nachttisch ungelesene Bücher geliebter Autoren, meine ungezupften Augenbrauen erinnern an Frida Kahlo und unsere Spülmaschine weiß auch schon nicht mehr, wie es sich anfühlt, vor Sonnenuntergang ausgeräumt zu werden.
Nun frage ich Sie: Wie soll, wie kann man einen Menschen ernst nehmen, der nach neunzehn Monaten auf diesem Planeten noch nicht einmal die Bezeichnungen „Mama“ und „Papa“ treffsicher verwendet? Ein bewindeltes, umherstolperndes Körperchen, das die U7 noch vor sich hat? Ich dagegen kann komplizierte Currygerichte aus dem Stand kochen – ohne Rezept! Ich kann wissenschaftliche Zusammenhänge verständlich darstellen und mit fünf Nadeln stricken! Wenn ich dem Baby mit solchen Vergleichen komme, ernte ich allerdings ein abwesendes, mildes Lächeln, als hätte ich sie nicht alle. Dann wandern meine Gedanken weiter zu den Griechen und zur Hybris, mein Herz aber hält inne und sagt: Was für ein Lächeln!
Herzlichst Ihre
Frau Karli
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