Kolumne
Glutkern der Kindheit
Frau Karli · 25.11.2014
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Im Gespräch mit einer lieben Bekannten fiel er neulich: der Begriff „Nestwärme“. Was ich damit spontan verbinde? Menschen, die wissen, wie wir im Schlafanzug aussehen. Gäste, die sich im Schneidersitz auf unser Sofa setzen oder mit halbgeschlossenen Augen auf dem Teppich liegen, während wir einander unsere Lieblingsmusik vorspielen. Ich verbinde Nestwärme mit leiser Musik, Brettspielen und Gebäck, mit eingecremten Kindergesichtern und sauberen Böden (jawohl, so bin ich). Mit schlaftrunkenen Stimmen am Morgen und gemeinsamem Spülen am Abend, nach ausschweifenden Mahlzeiten.
Das alles klingt ein bisschen nach nostalgischer Wehmut, nach Sehnsucht nach dem Leben in der Sippe. Dabei schätze ich (als Abkömmling zweier Riesengroßfamilien) das Leben in der Kleinfamilie und auch die Distanz zwischen den Menschen sehr – denn sie sichert Freiheit und Unabhängigkeit. Und die Vorstellung, ständig mit anderen zusammenzuglucken, ist für mich eher abschreckend als heimelig. Wie klärt man diesen Widerspruch? Wie können wir urbanen Individualisten unseren Weg gehen und zugleich in unseren Kindern jenen Glutkern entfachen, der ihnen in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft ein Daheim-Gefühl gibt?
Indem wir den Glutkern aufteilen und auf viele Lebensbereiche verteilen. Denn für mich persönlich ist das Gefühl der Nestwärme nicht zwangsläufig an das Familienleben gekoppelt. Eine wichtigere Rolle spielt Geistesverwandtschaft: So fühle ich mich daheim und auf eigentümliche Art geborgen, wenn ich höre, wie ein mir unbekannter Autor in einem Interview Gedanken ausspricht, die mir aus dem Herzen zu strömen scheinen. Wenn ich sehe, wie jemand beim Kochen die gleichen resoluten Bewegungen ausführt wie eine meiner Tanten. Oder wenn ich in einem fernen Land auf Gerichte stoße, die frappierende Ähnlichkeit mit vertrauten Rezepten haben. Ja – ich glaube, wenn wir mit unseren Kindern die Wertschätzung für gemeinsame Leidenschaften kultivieren, können sie sich später überall zu Hause fühlen.
Herzlichst Ihre
Frau Karli
© John Krempl/photocase.com