Kolumne
Der Trott der kleinen Dinge
Frau Karli · 16.10.2013
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Als ich mich dazu entschied, Mutter zu werden, träumte ich von zarten Stimmchen am Morgen, von kleinen Sandalen im Flur und den wohlgeformten Gesichtszügen meines Mannes im Miniformat. Kann es bessere Gründe geben, sich fortzupflanzen? Ich finde nicht! Woran ich bei dieser herzigen, lebensbejahenden Entscheidung ganz bestimmt nicht gedacht habe, sind die wiederkehrenden und zeitraubenden Materialbeschaffungs- und Verwaltungsprozesse, die das Muttersein mit sich bringt.
Was so ein kleiner Mensch allein an Körperbekleidung benötigt! Und kaum hat man für alle Lebens- und Wetterlagen die richtigen Teilchen in der passenden Größe zusammengekauft, -geliehen, -gestrickt und -genäht, ist der geliebte Spross aus allem schon wieder herausgewachsen. Ach, wie schwerelos unser Leben dagegen früher war! Unsere Besitztümer waren fröhliche Vagabunden ohne festen Wohnort, zu denen wir unverbindliche Beziehungen unterhielten. Nach diesen Tagen sehnte ich mich neulich zurück, als ich das Zimmer unserer Tochter einer gründlichen Inventur unterzog und alte Klamotten und Spielsachen aussortierte. Binnen kurzer Zeit sah der Raum aus wie der Schauplatz eines Verbrechens - und ich versank in finstere Grübeleien über die Konsumgesellschaft, über Zusammenhänge zwischen äußerem und innerem Chaos und das Leben an sich.
Doch dann fiel mein Blick auf eine Roboterhand, die mich immer an Captain Future erinnert. Auf den Morgenmantel mit den Herzen, der einst der Tochter meiner lieben Freundin Tina gehörte. Und auf eine selbst gestrickte Hose, die ich demnächst unbedingt an der kleinen Laura sehen möchte, der meine Freundin Uli vor wenigen Monaten das Leben geschenkt hat. Plötzlich sah ich die Kleider, Schuhe und Spielsachen in einem wärmeren Licht: All die kleinen Dinge spinnen unsichtbare Fäden über den ganzen Erdball und setzen unsere Kinder mit Freunden, Verwandten und Erlebnissen in Beziehung. Wie Maskottchen trotten unsere Sachen von Ort zu Ort, wo sie treu ihren Dienst leisten. Manche flackern noch lange nach ihrem Ableben als nostalgische Farbtupfer in Fotoalben auf. Und das, liebe Leser, ist doch eine charmante Vorstellung, oder?
Herzlichst Ihre
Frau Karli
© John Krempl/photocase.com
In jeder KÄNGURU-Ausgabe und online: Witzig, warmherzig und mit scharfem Verstand berichtet Frau Karli in ihrer Kolumne aus ihrem Familienleben. Kennt ihr schon alle Frau-Karli-Texte?