Familienleben
Zwei Rhythmen, ein Familienleben
Angelika Staub · 02.02.2018
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© Angelika Staub
„Jede Woche ist eine Wundertüte“, berichtet Jan Michels. „Es gibt kein festes Gerüst an Arbeitszeiten.“ Seine Frau und er arbeiten mal bis spät in die Nacht, mal am Wochenende oder Feiertag, mal gar nicht oder … ganz normal tagsüber, während Sohn Leonard zur Schule geht. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten seiner Eltern ist der Neunjährige gewohnt. „Er kennt es nicht anders“, sagt Karina Buschinger. Sehr flexibel und kontaktfreudig sei er. Glücklich und in sich ruhend tritt der Junge auf.
In den Ferien mit auf Tournee
Leonard besucht die benachbarte Ganztagsschule. In den Ferien kommt er gern mit auf Tour, reist mit Eltern und Orchester im ICE etwa nach Berlin, sitzt während der Generalprobe lesend auf einem der leeren Ränge und besucht das abendliche Konzert. Hat die Familie am nächsten Tag frei, lässt sie sich durch die Hauptstadt treiben und kehrt erst abends mit dem Flugzeug wieder zurück. Ein Highlight für alle! „Wir nutzen unsere gemeinsame Zeit qualitativ“, erzählt Buschinger. Lächelnd ergänzt ihr Mann: „Meine Frau und ich sind pausenlos zusammen. Und Leo kommt, sooft er kann, mit.“ Er gehöre fast schon zum Orchester. Nur fallen Tourneen nicht zwangsläufig in schulfreie Zeiten. Dann müssen die Eltern ohne ihren Sohn verreisen. Buschinger berichtet: „Nach längerer Abwesenheit kommt es natürlich vor, dass wir nach unserer Heimkehr erst einmal aufarbeiten müssen, was es von der Schule an Hausaufgaben und Nachrichten gab.“
Leonard mag sein Leben als Musikerkind. Begeistert zeigt er eine an ihn persönlich gerichtete Konzerteinladungskarte von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Was auf dem Programm steht, gerät dabei zur Nebensache. Sonst mag er am liebsten, wenn auch die WDR Big Band auftritt.
Ein starkes Netzwerk hilft bei Engpässen
Buschinger und Michels bezeichnen sich als „Extremberufler“, dennoch halten sie Familie und Beruf für vereinbar: „Sofern das Kind mitmacht und man ein gut funktionierendes Netzwerk hat, also auch gute Babysitter und Freunde.“ Zusammen mit ihrem Sohn wohnen die beiden Berufsmusiker in einem Mehrfamilienhaus. Insgesamt leben in der Umgebung rund zehn Familien, auf die sich die beiden regelmäßig verlassen. Es herrscht ein Geben und Nehmen im gemeinsamen Netzwerk: Wenn Leonards Eltern auftreten, springen Nachbarn oder auch Großeltern ein. „Wir wiederum haben zu Tageszeiten frei“, erzählt Buschinger, „an denen andere Eltern arbeiten müssen.“ Etwa morgens, oder an Montagen oft auch ganztägig. Selbstverständlich nehmen sie dann auch kranke Kinder in ihre Obhut.
Leonard selbst klagt selten über Bauchweh oder Fieber. Für diesen Fall gilt, was allen Eltern zusteht: Mama oder Papa dürfen bei Krankheit ihres Kindes zuhause bleiben. Auch Orchester verfügen über Aushilfen, die im Bedarfsfall einspringen. Nur kurzfristige Absagen vor einem Konzert oder die Erreichbarkeit während einer Aufzeichnung, wenn die Handys der Musiker schweigen müssen, können Stress auslösen. Für solche Notfälle liegt auch in Leonards Schule eine Alternativadresse bereit. „Es ist alles eine Frage der Organisation“, sagt seine Mutter. Sie plant stets mit zweiwöchigem Vorlauf. Liegt der Arbeitsschwerpunkt in der ersten Tageshälfte, freut sie sich umso mehr. Dann könnte sogar noch Zeit für einen gemeinsamen Ausflug herausspringen.
In Leonards ersten Lebensjahren war meist entweder Mama oder Papa zuhause. Abwechselnd hatten sie Elternzeit genommen. Ihre Arbeit auf Teilzeit zu reduzieren, war schon damals kein Thema. Am organisatorischen Aufwand hätte die Reduzierung nichts geändert. Dann wären trotzdem noch jede zweite Woche Engpässe aufgetreten. Hätte Buschinger, die Violinistin, allerdings die Wahl, würde sie am liebsten regelmäßig etwa von neun bis 17 Uhr arbeiten. Und wovon träumt ihr Mann, stünde ihm ein Wunsch frei? Er würde „sich gern Urlaub nehmen, wenn schulfrei ist“. Trotzdem: Die kleine Familie fühlt sich „pudelwohl“. Sie genießt die gemeinsame wertvolle Zeit, radelt gern, kickt im Garten oder spielt Schach. Ob Leonard wohl davon träumt, eines Tages selbst als Musiker durch ganz Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus zu reisen? „Zurzeit will ich Gärtner oder Fluglotse werden“, antwortet der Neunjährige. Wenngleich auch ein Musikerleben nicht schlecht sei. Leonard lernt Posaune.